Zeitgeschichte und Historik
Das London-Taxi, ein Kosmopolit

Geschäftsführer Chris Gubbey sieht die London Taxi Company als Visionär für kommerziell genutzte Stadtfahrzeuge mit lokal emissionsfreien Antrieben.
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Das London-Taxi ein Kosmopolit

(TRD/MID) – Was haben der hochdynamische Porsche 911 und das London Taxi als mobile Hutschachtel zur innerstädtischen Personenbeförderung gemein? Beide sind Ikonen ihrer landesspezifischen Automobilkultur: Der Porsche ein Innbegriff deutscher Perfektion und das London Taxi ein Symbol anachronistischer Insel-Kultur. Was sie trennt: Der deutsche Sportwagen fährt farbenfroh in alle Welt, während das überwiegend in Schwarz gekleidete London Taxi mit der britischen Insel verschraubt ist wie der Buckingham-Palast. Doch gerade das soll sich nun ändern! Die britische Ikone wird kosmopolitisch.

Um den Weg in internationale Märkte zu finden, bedurfte es zunächst der Insolvenz des Traditionsunternehmens, das 1899 in Coventry gegründet wurde und im Oktober 2012 die Tore schliessen musste. Die Erfolgsgeschichte der Hutschachtel geht auf den 1948 gebauten Austin FX3 zurück, das erste kastenförmige Taxi zur Personenbeförderung ausschließlich auf den Rücksitzen. Seine Ganzstahlkarosserie besitzt keine Beifahrertür, aber jede Menge Kopffreiheit für die mit Würde präsentierten Kopfbedeckungen der Ladies und Gentlemen. Die lichte Dachhöhe ist so bemessen, dass auch der Herr mit Zylinder in voller Montur reisen kann.

Richtig Fahrt nahm die Erfolgsgeschichte allerdings erst mit dem LTI Fairway auf, der ab 1989 auch über die Stadtgrenzen Londons hinaus zum Inbegriff britischer Taxi-Kultur wird. Er wird 1997 vom TX1 abgelöst, den ein 2,7-Liter-Dieselmotor von Nissan antreibt, und der mit einer Rampe im Heck für Rollstühle ausgestattet ist. Doch lange währt sein Erfolg nicht: Das London Taxi ist schwer, verbraucht viel Treibstoff und erliegt schließlich dem Gegenwind einer Politik, die auf emissionsfreie Fahrzeuge in der Innenstadt setzt.

In der Konkursmasse überlebt am Ende nur ein Team mit dem Willen, einen radikalen Neuanfang zu wagen. Es trifft im Jahre 2013 auf Abgesandte der chinesischen Zhejiang Geely Holding Group, deren Automobilgeschäft auf internationale Märkte drängt. Ein Jahr später kaufen die Chinesen die Überreste und richten mit dem „R&D Light-weighting and EV Centre“ zunächst ein Entwicklungsbüro für Geely in England ein.

Schon 2015 stellt Geely-Chef Li Shufu ein komplett aus Aluminium gefertigtes TX5 Modell vor, dessen Spaceframe-Struktur, abgesehen von einigen Positionsnieten, durchgängig geklebt ist. Darüber wächst eine Alu-Karosserie mit den Konturen des Taxi-Klassikers. Das Konzept eines äußerst wendigen Fahrzeugs mit abgetrenntem Führerhaus und geräumiger Fahrgastzelle für bis zu fünf Personen folgt streng den Bedürfnissen des Taxi-Betriebs.

Der stattliche Wagen hat einen sensationell kleinen Wendekreis von 8,40 Meter, um auch auf zweispurigen Straßen in einem Zug wenden zu können. Sind im Fahrgastraum die beiden Klappsitze entgegen der Fahrtrichtung aufgestellt, besitzen die üblicherweise allein oder zu zweit Reisenden mehr Bewegungsfreiheit als in jeder anderen als Taxi genutzten Limousine im Drei-Box-Design (Motor, Fahrgastraum, Kofferraum). Selbstverständlich ist der TX5 behindertengerecht und ganz wichtig: Auch der Zylinder tragende Brite reist dort bequem im standesgemäßen Ornat.

Die Entwicklung des Antriebsstrangs geht auf gemeinsame Anstrengungen mit CEVT zurück (China Euro Vehicle Technology), einem vorwiegend von ehemaligen Volvo-Mitarbeitern gespeisten Think-Tank von Geely in Gothenburg. Er nutzt zwei Elektromotoren an der Hinterachse, die ein Lithium-Ionen-Batteriepack des koreanischen Herstellers LG speist. Im doppellagigen Unterboden sind die Speicher mit 33 kWh Kapazität verstaut und entweder über die Steckdose oder unterwegs von einem Range Extender nachgeladen. Der kompakte Dreizylinder-Motor aus Volvos neuer Drive-E Generation soll mindestens 77 kW erzeugen. Er dient ausschließlich dem Nachladen der Batterie und schaltet nur bei Bedarf automatisch zu. Für ihn ist ein 70 Liter Tank an Bord.

„Rein elektrisch wird der TX5 bis zu 150 Kilometer weit fahren“, freut sich Carl-Peter Forster, der das Projekt im Auftrag von Geely als Vorsitzender betreut. Auf Schnellstraßen sei er mit bis zu 145 km/h unterwegs. Geht der Saft zuneige, springt der Verbrennungsmotor an und lädt wie ein stationärer Stromerzeuger mit konstanter Drehzahl nach. Mit 5,6 Liter Benzin soll genug elektrische Energie erzeugt werden, um den TX5 100 Kilometer weit zu fahren. Wer mit vollen Batterien und Tank startet, kann eine Gesamtstrecke von 1.400 Kilometer zurücklegen. Was für einen Tag Taxibetrieb reicht. Geely-Chef Li ist überzeugt, gründet die neue London Taxi Company (LTC) und stellt 300 Millionen Britische Pfund bereit.

Auch Derivate werden geplant, etwa ein kompakter Lieferwagen für städtische Dienstleister. Denn die Fahrzeug-Architektur ist modular ausgelegt. Sie lässt neben verschiedenen Karosserie-Varianten auch rein elektrische Antriebe mit variabler Speicherkapazität zu. Und schon sehen sich die Verantwortlichen um den Geschäftsführer der LTC Chris Gubbey als Visionäre für kommerziell genutzte Stadtfahrzeuge mit lokal emissionsfreien Antrieben. Und Carl-Peter Forster weist auf weitere Highlights hin: „Wir sind erster EV-Hersteller in Großbritannien, mit dem höchsten Investitionsvolumen eines chinesischen Konzerns in der Automobilindustrie.“ Forsters Vision: „Wir streben die weltweite Führerschaft im Bereich städtischer Nutzfahrzeuge an.“

Die Verantwortlichen verschweigen nicht, dass die politischen Rahmenbedingungen in UK ein wichtiger Treiber des Projekts sind. So wird London den Bau von Ladestationen zügig in Angriff nehmen, denn ab 1. Januar 2018 müssen alle neu zugelassenen Taxis dort mindestens 50 Kilometer lokal emissionsfrei fahren können und weniger als 50 g/km CO2 emittieren. Darüber hinaus fördert die britische Regierung die Anschaffung kommerziell genutzter Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge mit bis zu 7.500 Britischen Pfund. Derweil denkt der Mutterkonzern Geely global. So sollen mit dem London Taxi erstmals auch Märkte außerhalb Großbritanniens beglückt werden. Deutschland, die Niederlande, Schweiz und Skandinavien sieht Carl-Peter Forster als Hoffnungsträger. Und selbstverständlich auch China, der größte Automarkt der Welt.

Doch in Geelys Mutterland tragen Taxi-Gäste keinen mehrstöckigen Kopfschmuck. Der TX5 trüge dort zu sehr auf. Nur wenige Exemplare sollen das Vorgängermodell ablösen. Große Stückzahlen verspricht man sich von Lieferfahrzeugen auf der gleichen Aluminiumstruktur. Etwa für Kuriere, die aktuell noch auf Zweirädern ausschwärmen, zukünftig aber nach Effizienz streben. Für sie baut Geely in Iywo, südlich von Hangzhou, eine Fertigung auf, die ab 2018 LX5 Kastenautos made in China ausliefern wird.

Das originelle und hochfunktionelle London Taxi auf zukunftssichere Räder zu stellen, ist eine glänzende Idee – nicht zuletzt, weil sie auf eine ikonenhafte, international bekannte Marke baut. Doch der Erfolg des TX5 ruht auf zwei Fundamenten, deren Tragfähigkeit schwer voraus zu berechnen ist: Erstens muss der Preis des TX5 außerhalb Englands auch nach dem Brexit konkurrenzfähig bleiben, denn seine Wertschöpfung erfolgt zum großen Teil im Ausland. Von den insgesamt 300.000 Einzelteilen des Taxis stammen 50 Prozent von Zulieferern jenseits der Insel. Auf sie dürften in Zukunft Einfuhrzölle entfallen. Und zweitens muss eine dauerhafte Produktqualität sichergestellt sein. Eine Eigenschaft, die Fahrzeugen made in UK nicht per se in die Wiege gelegt wird.

Die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells mit Fahrzeugen made in China kennt andere Parameter: Im Reich der Mitte wird die Wertschöpfung einschließlich Batterien im Inland sichergestellt sein. Und Produktqualität wird noch immer mit elastischen Maßstäben gemessen. Wichtigstes Erfolgskriterium ist stattdessen der politische Wille, beispielsweise ganze Megacities kurzerhand als Einsatzgebiete auszuweisen. Historische Wertigkeit oder gar ikonenhafte Überhöhung spielen im pragmatischen China für Kaufentscheidungen keine Rolle.

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Geschäftsführer Chris Gubbey sieht die London Taxi Company als Visionär für kommerziell genutzte Stadtfahrzeuge mit lokal emissionsfreien Antrieben.
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LeserReporter/in:

Heinz Stanelle aus Köln

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