Quellen für neue Ideen und Inspiration
Akkordeonspielen als schönes Hobby ein Leben lang

Anita Brandtstäters Debut als Dirigentin bei einem Jahreskonzert des Akkordeon-Orchesters Wesseling 2008.  | Foto: Wolfhard Brandtstäter
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  • Anita Brandtstäters Debut als Dirigentin bei einem Jahreskonzert des Akkordeon-Orchesters Wesseling 2008.
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Akkordeon haben viele in ihrer Jugend gelernt. Doch dann gibt es immer mehr andere Aufgaben, neue Prioritäten in der Schule, beruflich und privat, und so manches Instrument landet auf dem Speicher und wird nicht mehr gespielt. Das akkordeon magazin hat Anita Brandtstäter gefragt, was Quellen für neue Ideen und Inspiration sind, damit das Akkordeonspielen auch im mittleren Lebensalter Spaß macht und ein motivierendes Hobby bleibt.

Akkordeon-Orchester Wesseling

Eine gute Methode, um den Spaß am Akkordeonspielen zu pflegen, ist es, mit anderen gemeinsam Musik zu machen. Ich bin schon mit zehn Jahren Mitglied im damaligen Jugend-Akkordeon-Orchester Wesseling geworden. Zum ersten Mal hörte ich die jungen Musiker bei ihrem Rheinparkkonzert in Wesseling 1966. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ein Jahr Akkordeon-Unterricht, aber ich sagte zu ihren Eltern, da kann und will ich mitmachen!

Dort habe ich auch in Zeiten des Studiums, einer beruflichen Karriere-Rotation nach Stuttgart, von Beratungsaufträgen in Münster aus eigentlich immer weitergemacht - insbesondere als Ausgleich neben dem Stress im Beruf. Auch wenn manchmal nur wenig Zeit zum Üben war. Und es schwierig war, die Termine im Beruf mit den Anforderungen des Vereins bei Konzerten und Auftritten zu koordinieren.

Gemeinsame Probenarbeit, aber auch das gesellige Vereinsleben mit Wanderungen, Fahrradausflügen, Mehrtagestouren, Wettbewerben wie 1970 der Tag der Harmonika in Freiburg, das Internationale Akkordeon-Festival 1973 in Bonn, das Akkordeon-Weltfestival 1975 in Luzern, der 6. Grand Prix International de l’Accordeon in Aix-les-Bains, Internationale Akkordeon-Festivals in Innsbruck verstärken die Freude am Akkordeonspielen. Die Jahreskonzerte werden seit 1993 immer durch Probenwochenenden in der Eifel vorbereitet, bei denen nicht nur musikalisch gearbeitet wird.

Unterschiedliche Rollen im Verein brachten neue Herausforderungen: 1970 wurde ich Konzertmeisterin. 1983 übernahm ich die Leitung des neu gegründeten Ensembles des Akkordeon-Orchesters Wesseling, einer kleinen Besetzung des Vereins. Der Gründungsdirigent Gottfried Weber übergab mir 2010 nach 45 Jahren der musikalischen Leitung offiziell den Taktstock, aber schon seit 1981 habe ich ihn nach einem Dirigentenkurs bei der Probenarbeit tatkräftig unterstützt und vertreten. Seit 1981 wurde ich in den Vorstand gewählt und führe ihn seit 1988 als 1. Vorsitzende. In der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Akkordeon-Orchesters Wesseling schrieb ich: „Meine damalige Entscheidung habe ich nie bereut. Es macht Spaß, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein. Es bringt Erfüllung, immer wieder unser Publikum zu überraschen und zu begeistern."

Fortbildungslehrgänge und Osterarbeitswochen

Ein gute Quelle für neue Ideen sind Fortbildungslehrgänge und Osterarbeitswochen des Deutschen Harmonika-Verbandes in der Bundesakademie Trossingen und in der Akademie Remscheid. Man lernt neue Stücke kennen, man kann sich mit Gleichgesinnten austauschen.
 
1966 war ich zum ersten Mal als jüngste Teilnehmerin bei der Osterarbeitswoche in Trossingen - damals gab es noch keine Bundesakademie - mit 14 Schülern und drei Erwachsenen des Vereins. 1981 dann zum zweiten Mal, um einen Dirigentenkurs bei Karl Perenthaler zu absolvieren. Seit einigen Jahren bin ich wieder regelmäßig in der Woche vor Ostern dort.

Als es noch den Buß- und Bettag als Feiertag in Nordrhein-Westfalen gab, veranstaltete der Bezirk Ruhr des Deutschen Harmonika-Verbandes Tages-Workshops. Zum ersten Mal nahm ich an einem Lehrgang „Moderne Stilistik im Akkordeon-Orchester“ in Lüdenscheid 1990 bei Hans-Günther Kölz teil. 60 Akkordeonisten lernten Rock- und Swing-Basics. Dies wurde auch Tradition für die Folgejahre – bei unterschiedlichen Dozenten in unterschiedlichen Städten des Ruhrgebietes und mit unterschiedlicher Besetzung. Ich war immer dabei.

1991 nahm ich das erste Mal an einem Pfingstwochenlehrgang des Deutschen-Harmonika-Verbandes in der Akademie Remscheid teil. Dort wird Orchesterspiel, Interpretation gehobener Originalmusik und moderne Rock- und Jazz-Stilistik gelernt und direkt praktisch geübt. Diese Fortbildung wurde dann auch Tradition: ich reservierte regelmäßig die Woche nach Pfingsten in meinem Terminkalender – mal bei Fritz Dobler oder Bernd Maltry, bei Stefan Hippe oder Thomas Bauer, bei Sascha Davidovic oder Lionel Chapuis, bei Helmut Quakernack oder Gerhard Koschel.

Spielen in kleinen Besetzungen

Inspirierende Momente kann man besonders beim Spielen in kleinen Besetzungen erleben. Toll, wenn das Zusammenspiel in Läufen wie aus einem Guss klappt, wenn die Dialoge der Stimmen sich entwickeln. Man ist viel abhängiger vom Spiel der anderen als im Orchester. Wenn einer unsicher ist, überträgt sich das schnell auf die anderen, wenn aber das Zusammenspiel klappt, dann ist das wie eine Spirale - und das Ensemble schaukelt sich zu musikalischen Höhenflügen auf.

Ab 1983 probte das neu gegründete Ensemble des Akkordeon-Orchesters Wesseling regelmäßig. Ich übernahm die Leitung. Gemeinsam stimmten wir die anspruchsvollen Repertoire-Planungen ab: Wolfgang Jacobi, Johann Sebastian Bach, Karl-Heinz Wolters, Matyas Seiber, Rudolf Würthner, Hans-Günther Kölz, Wolfgang Ruß... Auch die Probenarbeit ist etwas anders als im Orchester und kann auf die Vorstellungen aller Musiker eingehen.

Besondere Momente waren eine Wettbewerbsteilnahme und Konzerte: Das Ensemble des Akkordeon-Orchesters Wesseling beteiligte sich am Wettbewerb um den „2. Rudolf Würthner-Pokal“ 1987 in Trossingen. Mitwirken bei Chorkonzerten, sogar ein Auftritt im Kölner Gürzenich, gehörten zum Terminkalender. Ein besonderes Konzert war das Eichholzer Schlosskonzert „Kontraste“ mit Mirjam Schröder, Harfe, 2008. Zum 25-jährigen Bestehen des Ensembles führten die sechs Musiker Kompositionen mit Themen der Alten Musik, verbunden mit Swing-Elementen, über eine neoklassizistische Suite von Wolfgang Jacobi bis zu folkloristischen Klängen aus Argentinien und Irland auf.

Als sich das Ensemble 2016 leider auflöste, gründeten wir sofort eine neue kleine Besetzung: das Akkordeon-Trio Plus, das sind heute drei Akkordeonisten plus Bass und Drums/Percussion.

Orchesterleitung

Eine besondere Verantwortung, aber auch Erfüllung bedeutet die Übernahme der musikalischen Leitung eines Orchesters: man kann einen Klangkörper nach seinen Vorstellungen formen, die Musik nach seiner Interpretation zum Klingen bringen. Zwar hatte ich den Gründungsdirigenten des Akkordeon-Orchesters Wesseling schon seit einem Dirigentenkurs 1981 in der Probenarbeit und unterstützt und vertreten. Dazu gehörte die Organisation der Probenarbeit durch Planung der Proben, aber auch die Einstudierung einzelner Originalkompositionen. Aber nach der vollständigen Übernahme der Probenarbeit 2008 und der Stabübergabe vom Gründungsdirigenten 2010 spürte ich, dass mir meine Qualifikation noch nicht reichte.

2011/12 absolvierte ich dann den anspruchsvollen und qualifizierenden C3-Lehrgang "Dirigent im Akkordeonorchester" an der Landesmusikakademie NRW in Heek. Die Akademie hatte ich 1992 schon bei einem Electroniumkurs mit Werner Niehues kennengelernt.

Beim Jahreskonzert 2003 musste ich diese Verantwortung schon ganz unerwartet übernehmen, denn am Vortag des Konzertes musste der Dirigent Gottfried Weber völlig unerwartet ins Krankenhaus. Die Musiker spielten deshalb das erste Mal ohne ihren Dirigenten ein Jahreskonzert. Ich leitete das Orchester von meinem Platz aus. Einige Stunden hatte ich vorher die Partituren studiert und wichtige Einsätze in meiner Stimme markiert.

Für die Jahreskonzerte studiere ich jetzt immer wieder ein abwechslungsreiches Programm ein. Den Zuhörern präsentieren die Musiker von Orchester und Ensemble einerseits die breite Palette der Akkordeonmusik, andererseits sollen sie aber auch gut unterhalten werden mit wunderschönen Melodien.

Nachwuchsarbeit

"Die Tradition ist nicht die Aufbewahrung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers!" Dieses Motto von Thomas Morus nutzen wir auch für unsere Nachwuchsarbeit. Das ist eine weitere Quelle der Inspiration. Viele Vereine haben Nachwuchsprobleme. Nicht immer funktionieren die Kooperationen mit Musikschulen. Früher gab es in Wesseling eine städtische Musikschule. Mit Helen Igers war eine qualifizierte Akkordeonlehrerin dort tätig. Diese Zeit ist längst vorbei. Aus wirtschaftlichen Gründen gibt es nur noch wenige städtische Musikschulen in Städten, die die Verluste daraus anderweitig kompensieren können.

Wir waren deshalb sehr glücklich, dass in der Brigidaschule in Wesseling seit dem 2. Schulhalbjahr 2011/2012 wieder Akkordeonunterricht angeboten wird. Eine Kooperation mit der Musikschule Colonia machte es möglich - Inhaberin ist Undine Hölzle, Absolventin der Hochschule für Musik und Tanz Köln.

Damit die Kinder Spaß am Akkordeonspielen behalten, ist es eine Möglichkeit, ihnen die Chance zu bieten, in einem Orchester mitzuspielen. Dort kann man schneller beachtliche Ergebnisse erzielen, insbesondere wenn auch ein paar "alte Hasen" unterstützen. So entstand die Idee unserer Workshops "Gemeinsam musizieren mit Quetsch". In drei bis fünf Proben wird ein Auftritt bei einem Konzert vorbereitet. Und ich hatte wieder eine neue Rolle im Verein - als Dozentin der Workshops. Geeignete Literatur musste gesucht werden, zum Teil angepasst werden. Und das Konzept funktioniert. So kann der Nachwuchs ohne langfristige Bindung an das Orchesterspiel herangeführt werden. Es wird ihm damit Freude an der Musik vermittelt. Inzwischen läuft die 21. Workshop-Reihe mit dem Ziel eines Auftritts beim Jahreskonzert 2019.

Die Workshops richten sich an Teilnehmer jeden Alters - von 5 bis 75 hatten wir schon Mitspieler. Es ist schön zu sehen, wie sich die Erwachsenen an den Fortschritten der Jüngsten erfreuen. Und die Jüngsten merken, dass die Erwachsenen, die genauso wie sie Akkordeonunterricht nehmen, nicht alles besser können als sie selbst. Wir arbeiten dabei mit verschiedenen Musiklehrern und Musikschulen zusammen. Das ist leider nicht ganz einfach, denn oft wird die gemeinsame Zielsetzung, Nachwuchs an die Musik heranzuführen und insbesondere für das Akkordeon als vielseitiges Instrument zu begeistern, durch den Wettbewerb um Schüler gestört.

Außerdem haben wir seit 2017 an der Johannes-Gutenberg-Schule, in deren Aula wir seit 1994 proben, Musikprojekte unter dem Motto „Musik für alle“ begonnen: „Rhythmik mit Congas“ und „Gruppenmusizieren nach Noten auf Tasteninstrumenten“. Sie basieren auf einer Kooperation zwischen Schule, Förderverein, Akkordeon-Orchester Wesseling und der Stadt Wesseling im Rahmen des Förderprogramms „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“. Ich habe als Projektleiterin alles organisiert, auch in Abstimmung mit dem Bundesmusikverband Chor & Orchester in Trossingen, und war außerdem die Dozentin für das Gruppenmusizieren. Dafür habe ich eigens Stücke geschrieben und arrangiert, die dann in der Besetzung Akkordeons, Melodicas, Mallets, Klavier und Bass mehrstimmig erklingen.

In diesen Projekten ging es nicht nur um musikalische Ergebnisse, sondern auch um die Entwicklung von Selbstvertrauen, Konzentration und Sozialverhalten. Den Kinder verschiedener Herkunft und aus verschiedenen sozialen Verhältnissen wurde Freude am gemeinsamen Musizieren vermittelt. Es konnten sogar Talente entdeckt werden.

Arrangieren

Mit etlichen Arrangements habe ich inzwischen das Orchester- und Ensemble-Repertoire bereichert – insbesondere für gemeinsame Auftritte bei Konzerten mit Chören. Mein erstes Arrangement war "La Paloma", weil das 2012 der Wunsch des Quartett-Vereins Museion Hemmerich für ihr Konzert "Eine musikalische Kreuzfahrt" war. Aber auch kölsche Stücke, die es nicht in Akkordeonorchester-Fassungen gibt, wurden von mir für unser Orchester bearbeitet, z.B. der "Kölsche Jung" von Brings und "Leev Marie" der Paveier, aber auch der Klassiker "Heimweh nach Köln" von Willi Ostermann.

Auch für die Workshops "Gemeinsam musizieren mit Quetsch" sind Arrangementarbeiten erforderlich. Wir beziehen immer auch Anfänger mit ein und schreiben für sie dann Easy-Stimmen, damit sie das motivierende Erlebnis des Zusammenspiel im Orchester positiv erleben können.

Es ist immer spannend, wenn ein Arrangement dann im Orchester zum Leben erweckt wird!

Lebensmitte

Im mittleren Alter verändert sich der Körper. Der eine oder andere Promi, der die Jugend geprägt hat, stirbt, Auch im nahen Umfeld muss man den einen oder anderen Todesfall verkraften. Man wird sich bewusst, dass weniger vom Rest seines Lebens übrig ist, als man hinter sich hat.

Die Leistungsfähigkeit lässt zwar in mancherlei Hinsicht nach, aber längst nicht überall. Nach Professor Ernst Pöppel fällt es uns ab Mitte 30 zunehmend schwerer, Details wie Zahlen und Telefonnummern zu behalten. Dafür steigern sich jedoch unsere Fähigkeiten hinsichtlich der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit und der Fähigkeit, Zusammenhänge intuitiv zu erkennen. Voraussetzung ist aber, dass man sein Gehirn trainiert. Und das kann mit aktivem Musikmachen besonders gut gemacht werden. Dabei beschäftigen wir uns mit Dingen, die uns interessieren und uns emotional berühren. Es bringt Erfüllung.

Der große Psychoanalytiker C. G. Jung spricht davon, dass man die zweite Lebenshälfte nicht nach dem Muster der ersten leben kann. Deshalb schafft es Sinn und Befriedigung, wenn man immer wieder Neues angeht und sich den damit verbundenden Herausforderungen stellt. Und die Akkordeonmusik bietet dazu ein weites Bestätigungsfeld.

LeserReporter/in:

Anita Brandtstäter aus Köln

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