Ich war doch so vorsichtig mit dem Essen in der Corona-Zeit, aber jetzt komme ich um das Abnehmen nicht mehr herum. Und dabei habe ich mich doch erst kürzlich so angestrengt…
Fasten wie ein Profi, Teil 2

Wesseling, mal anders

Mittlerweile bin ich ja Fastenprofi. Ok, fast ein Profi. Aber wenn man zum wiederholten Mal viel Geld ausgibt, um wenig zu essen, hat man schon Erfahrung. Eine Woche bei 800 Kalorien pro Tag, dazu Sport und jede Menge Vorträge. Mein Energiepegel fühlt sich allerdings mehr nach 200 als nach 800 Kalorien an.

Ich bin der einzige Mann unter acht weiblichen Fastenfans. Nun macht es mir nichts aus, wenn ich mich mit niemandem über Fußball unterhalten muss. Aber wie steigt man in einen Gesprächssalat ein, der in etwa so abläuft:

„...nein, nicht zum Abnehmen, nur zum Entgiften...“ „...die Kombination mit Yoga und Wandern...“ „...die Kochbücher schon durchgeschaut, einige gute Rezepte...“ „...wenn man durch die Nase atmet, setzt man Ionen frei, die...“ „...Glaubersalz wirkt bei mir wie...“ „...ja, Leber- und Gallenreinigung, jetzt schon seit drei Wochen...“ „...innerlich ausgeglichen, nur dann geht was...“ „...Fleisch? Auf keinen Fall...“

Kein vernünftiger Mann traut sich ohne Not in ein solches babylonisches Sprachgewirr hinein, mögen die Teilnehmerinnen noch so nett sein. Was soll ich als Durchschnittsrheinländer da schon beitragen? Schnell gehe ich meine Themen durch: Rennautos, Computer, gutes Essen, Weine, Rennautos, Reisen und Harry Potter. Ach ja, und noch Rennautos. Nichts dabei, was hier passt. Also heißt es einer gegen acht, ich bin erschreckend in der Minderzahl.

Aber vielleicht halte ich ja im Sport mit. Jeden zweiten Tag gibt es Intensivtraining mit zehn Stationen. Schon beim Aufwärmen falle ich auf: Beine breit auseinanderstellen, dann mit den Händen auf den Boden und dehnen, dehnen, dehnen, wie es die Trainerin vormacht. Gute Frau, ist ja alles ganz schön, aber beim Mann (also mir) sind da sehr wichtige Teile im Weg. Der Bauch zum Beispiel. Und wenn ich einmal da unten bin, wie komme ich da jemals wieder rauf? Ich plädiere für artgerechte Dehnungsübungen für Männer!

Auch die regelmäßigen Wanderungen stellen eine Herausforderung dar. Mein linker Fuß ist sowieso krumm, der rechte nur auf Gasgeben trainiert. Und jetzt kilometerlang durch den Wald. Ab der zweiten Wanderung ahne ich, warum mir die Damen ständig wegrennen: je mehr sie reden, desto schneller laufen sie. Kann gar nicht anders sein. Während ich mühsam hinterher schleiche, zieht sich eine Dame bei 4° Aussentemperatur Schuhe und Strümpfe aus, um den Waldboden intensiver spüren zu können. Vor lauter Begeisterung setze ich mich gleich mal beim nächsten Abstieg auf den rutschig-nassen Waldboden. Danach bietet mir aus Mitleid eine nette Mitläuferin einen ihrer Stöcke an. Ich finde, Wandern ist einfach unfair.

Nach den Wandertouren sind die vielfältigen Massagen höchst willkommen. Ich verstehe zwar nichts von diesen asiatischen Wohlfühlphilosophien, aber ich lerne gerne. Eine Ayurveda-Massage zum Beispiel kennt kein Mensch. Also ich nicht. Es ist aber tatsächlich eine angenehme Sache, so mit Äther und Öl. Zum Schluss wedelt die Masseurin mit angespanntem Gesichtsausdruck die Luft über meinem Körper großflächig zur Seite. Entsetzt sehe ich sie an, doch sie meint nur, damit werden Energieströme im Körper beeinflusst. Gott sei Dank, sinke ich in mein Kissen zurück, und ich hatte schon befürchtet, mir wäre unbemerkt ein Windchen entfleucht.

Womit wir bei den verschiedenen Formen der Darmentleerung sind. In der Fastenwoche rücken diese diskreten Vorgänge in den Mittelpunkt des Interesses. Glaubersalz, Colon-Hydrotherapie - eine Art Spülung – oder ganz natürlich? Beim Frühstück belausche ich ein nettes Gespräch, während ich mein Nuss-Obstsalat-Müsli genieße. Auf der einen Seite eine Bayerin, bedächtig, mit ein.dring.li.cher Betonung. Auf der anderen Seite dagegen eine Schwäbin mit einem Redetempo von 200 Wörtern pro Minute.
Bayern schlägt auf, Schwaben erwidert.

„Die Colon-Therapie, die ist wirklich gut.“
„Ich weiß nicht recht, ich hab das nicht gemacht, das geht auch natürlich.“
„Ja, aber, da im Darm, das muss mal so richtig durchgespült werden.“
„Schon, aber das geht mit Glaubersalz auch.“

Wunderbar, so ein leckeres Müsli am Morgen. Ich konzentriere mich auf den süßlichen Geschmack des Ananasstückchens, das mir gerade auf der Zunge zergeht.

„Naa, des reicht nicht, denn da im Darm, da sind Taschen, da lagert sich alles ab.“
„Das wird mit dem Glaubersalz auch rausgespült.“

Eine herrliche Nuss habe ich gerade gefunden, woran erinnert mich die braune Farbe bloß?

„Ja, aber die Taschen, die Taschen, da kommt das Salz nicht hin.“
„Bei der letzten Darmspiegelung hat das auch funktioniert, da war alles sauber.“

Ist das nun Amaranth oder Quinoa, was ich da zwischen den Zähnen habe? Ich muss unbedingt mal nachschlagen, woher das Zeugs kommt.

„Ja, das kenn ich, da muss man vorher 8 Liter von dem Abführmittel trinken.“
„Genau, und kurz vor Schluss musste ich mich fast übergeben.“

Kokos. Das ist jetzt aber ganz sicher Kokos. Und so schön fein gerieben. Sehr lecker. Ein Frühstück nach Maß. Ich schiebe locker die Erinnerungen an meine eigenen Erfahrungen mit den 8 Litern auf Seite.

„Dann ist die Colon-Therapie ja wohl doch besser, allein wegen der Taschen!“
„Also ehrlich, das geht bei mir nicht, weil mein Schließmuskel zu stramm ist.“

Tee, ich brauche dringend noch eine Tasse Tee. Mit Granatapfelkernen, Sojabohnen, Broccoli, was auch immer. Aber Tee, und zwar schnell!

„Ah, das ist schade, geht da gar nix? Bei mir war das kein Problem.“
„Nur so nach und nach, immer ein Stückchen, und dann...“

Den Rest des Gespräches habe ich verpasst, weil ich mir in der Küche eine Pinzette holte, um die letzten Kokoskrümel aufzupicken. Ob Bayern gewonnen hat oder Schwaben, kann ich nicht sagen.

So hat eben jede(r) seine Herausforderungen zu meistern. Eine Fastenwoche bringt die Teilnehmer an ihre Grenzen. Auf jeden Fall verging sie kurzweilig, und mit knapp 5 kg Gewichtsverlust war sie auch erfolgreich. Und gute Unterhaltung gab es auch.
 
 
 
Diesen Artikel gibt es hier auch als pdf. Weitere Geschichten gibt es in meinem Profil.
Wenn der Text ein wenig zum Schmunzeln anregt, würde ich mich freuen. Es gibt derzeit genug Dinge, über die man nicht Schmunzeln kann.

LeserReporter/in:

Dieter Weidenbrück aus Wesseling

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